Für mehr Lebensqualität bei weniger Ressourcenverbrauch

von Thomas Gröbly

Weniger Energie und weniger Ressourcen sind die Zukunft! Kaum jemand widerspricht diesen Forderungen. Nur, wie gelangen wir dahin? Besser isolierte Häuser, Recycling oder Elektroautos sind zwar sinnvoll, reichen aber bei weitem nicht, die existentiell notwendigen Reduktionsziele zu erreichen. Den Verbrauch müssen wir heute um 80 Prozent verringern und langfristig vollständig auf fossile Energieträger verzichten. Ähnliches gilt für alle nicht-erneuerbaren Ressourcen. Und dies aus mehreren Gründen. Die Klimaerwärmung kann nur gestoppt werden, wenn wir 80 Prozent der noch verfügbaren Öl-, Gas- und Kohlevorkommen im Boden lassen. Zudem besteht weltweit eine eklatante Ungleichheit. Die Industrieländer konsumieren ein Mehrfaches der Länder des Südens. Das Gebot der Gerechtigkeit verlangt eine Reduktion bei uns. Zum Dritten ist eine Abkehr von der fossilen Wirtschaft eine Forderung der Vernunft, denn nur so kann die Abhängigkeit reduziert und die Resilienz erhöht werden. Zudem leben wir auf Kosten unserer Enkel und Urenkel, welche eine schwere Hypothek zu tragen haben. Das Konzept der Nachhaltigkeit war ursprünglich radikal, ist aber durch die Popularität zu einem Plastikwort geworden. Es suggeriert, dass alle gewinnen können. Das geht aber nicht. Es wird Verlierer geben oder positiv gewendet: Die Transformation ist tiefgreifend und kann keine Rücksicht auf Privilegien und Bequemlichkeiten nehmen. Es gilt also, die Chance zu packen, und in kleinen und radikalen Schritten Teil der Lösung zu werden.  

Weitermachen wie bisher ist keine Option!

Das Modell von lebenswerten Nachbarschaften bei weniger Ressourcenverbrauch ist ein möglicher Schritt. Gegenwärtig haben wir die vier Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Konsum auseinander gerissen und dazwischen gibt es große Strecken. Straßen und Bahn verbinden die Bereiche, führen aber nicht nur zu Bodenversiegelung und hohem Energieverbrauch, sondern auch zu Lärm, Stress und sinnlosem Zeitverlust im Stau. Wollen wir unseren Fußabdruck ernsthaft reduzieren, bleibt uns keine Wahl: Es braucht eine Strukturreform, und das Modell von lebenswerten Nachbarschaften von Neustart Schweiz ist ein Ansatz dazu. Ich kann einen großen Teil meiner Bedürfnisse vor Ort befriedigen, sowie Stress und Zeitverlust reduzieren. Es gibt allerdings massive Widerstände gegen solche Projekte. Die ökonomischen Krisen will man immer noch mit Wachstum lösen. Die Finanzindustrie, die sich mehr und mehr von der Realwirtschaft abkoppelt, erzeugt auf der Suche nach Rendite unglaubliche Zwänge. Da kaum neue Märkte und neue Länder zu erobern sind, wird Wachstum dadurch erzeugt, indem Renditen aus allen möglichen Bereichen gesogen werden. Entsprechende Deregulierungen und Privatisierungen von ehemals öffentlichen Gütern werden mit der Effizienzsteigerung begründet: Patentierung von Pflanzen, Tieren oder Gensequenzen. Privatisierung von Saatgut, Wasser, Boden (Landgrabbing), Kriegen, Forschung, Bildung, Medien und Daten führen zum Abbau von Arbeitsrechten, Umweltstandards oder des Verbraucherschutzes. Die aktuell verhandelte ‚Transnationale Handelsund Investitionspartnerschaft’ TTIP zwischen der EU und den USA ist ein Hinweis dazu. Leben wird zur Ware. Menschen werden in nützlich und überflüssig aufgeteilt. Die Zwänge sind groß und ein Ausweg scheint unmöglich. Zwar ist das Unbehagen bei vielen Menschen groß, aber auch Ohnmacht und Resignation. Die Folge ist die weit verbreitete Auffassung, dass erst eine Katastrophe uns zur Vernunft bringen wird. Das zeugt jedoch von einer kläglichen Mut- und Phantasielücke.

(Fast) alles in Pantoffeldistanz

Nehmen wir das Konzept von Nachhaltigkeit wirklich ernst, brauchen wir radikal neue Ansätze wie etwa das Modell von Neustart Schweiz. Ein Modell ist immer ein Ideal. Ein Neubau einer Nachbarschaft auf Landwirtschaftsland ist ausgeschlossen. Das Bebauen einer Brache oder ein Umbau einer bestehenden Siedlung oder eines Quartiers ist jedoch sinnvoll. Die Wohnfläche pro Kopf liegt bei etwa 20 Quadratmetern. Heute brauchen wir im Durchschnitt mehr als 50 Quadratmeter. Eine Nachbarschaft besteht aus 500 Menschen auf einem Hektar (10.000 Quadratmetern). Mehrere Nachbarschaften ergeben ein Quartier und mehrere Quartiere eine Stadt. Jede Nachbarschaft hat ein Mikrozentrum mit Läden für Lebensmittel, Bücher, Kleider und vieles mehr. Eine Rezeption hilft bei der Orientierung und Vermittlung von Arbeit und Kontakten. Kindertagesstätten, Bäckerei, zentrale Wäscherei, aber auch Bistros, Schwimmbad und vieles mehr ist möglich. Es gibt auch Werkstätten und Kleingewerbe. Die Befriedigung der alltäglichen Bedürfnisse soll in Pantoffeldistanz, also in etwa 5 Minuten, möglich sein. Ziel ist die Stärkung einer lokalen Wirtschaft, die mehr auf Kooperation statt auf Konkurrenz baut. Zu deren Stärkung wäre auch eine lokale Währung denkbar. Es ist keine Absage an globalen Austausch, im Gegenteil. Es gründet auf globaler Solidarität, will aber die Versorgung so weit es geht lokal und dezentral organisieren. Technologien mit größerem Kapitaleinsatz werden nach wie vor an wenigen Orten national oder auch global entwickelt und hergestellt.

Teilen statt Besitzen

Teilen statt Besitzen lautet das Motto: Jede Bewohnerin hat Zugang zu Gemeinschaftsräumen wie Werkstätten, Bibliothek, Fitnesscenter oder einem Billardraum. Da wir uns in diesen Räumen nur stundenweise aufhalten, eignen sie sich bestens für die gemeinsame Nutzung. Die relativ kleine Wohnfläche wird also durch den Zugang zu anderen Räumen relativiert. Für Gäste hat es Hotelzimmer, die man tageweise mieten kann. Die Grundrisse der Wohnungen sind vielfältig, damit Menschen mit verschiedenen Lebenssituationen und Lebenskonzepten darin wohnen können. Die große Durchmischung und Vielfalt verhindert die Ghettobildung. Die Anzahl von 500 Menschen erlaubt Diskretion und Privatsphäre und garantiert gleichzeitig eine hohe Verbindlichkeit.

Oikonomia – Haushaltsregeln für Mensch und Natur

Im Gegensatz zu den totalitären städtebaulichen Ideen etwa von Le Corbusier, sind die Nachbarschaften von Neustart Schweiz basisdemokratisch und am besten genossenschaftlich organisiert. Das ist zwar äußerst anspruchsvoll, aber der einzige Weg um die Selbstbestimmung und das Engagement jedes einzelnen zu stärken. Und das ist notwendig für das Gelingen. Ökonomisch versucht man, Boden und Wohnen der Spekulation zu entziehen und damit Zwänge zu reduzieren. Es ist ein unternehmerischer Ansatz mit einem großen Potenzial zur Relokalisierung der Wirtschaft und zur Stärkung des Selbermachens und der Subsistenz. Es ist auch ein Bekenntnis, dass wir die anstehenden globalen Herausforderungen nicht technisch lösen können, sondern sozial. Denn eine Technologie ist ohne Leben. Erst wenn sie in eine Kultur und in die Lebenswelt der Menschen eingebunden ist, kann sie zu einem Teil der Lösung werden. Unsere Ernährung verursacht mehr als 30 Prozent der globalen Umweltbelastungen und ist zudem auch für Hunger und Armut mitverantwortlich. Deshalb ist jede Nachbarschaft mit 500 Menschen an einen oder mehrere Bauernhöfe mit insgesamt 80 Hektar Land gekoppelt. Im Sinne der Solidarischen Landwirtschaft sind die Bezüge von Lebensmitteln vertraglich geregelt. Das gibt der Bäuerin finanzielle Sicherheit, verringert Lebensmittelabfälle und lange Transportwege, kann aber auch die Preise gering halten, da viele Zwischenhändler wegfallen. Zu verarbeitende Produkte können entweder im Dorf oder auch in der Stadt in kleinindustriellen, genossenschaftlich organisierten Unternehmen hergestellt werden. Solidarische Landwirtschaft hat aber auch soziale Bedeutung: Kinder können ihre Ferien auf dem Hof verbringen und mithelfen. Sie erfahren direkt, woher unsere Lebensmittel kommen und wie viel Arbeit es braucht. Damit wachsen die Wertschätzung und Dankbarkeit und somit auch Respekt und Verantwortung im Alltag.

By design, not by disaster

Verantwortung ist ein zartes Pflänzchen, wie alle unsere Werte. Je anonymer unsere Beziehungen, desto eher setze ich mit Macht meine Interessen durch. Nachbarschaften und andere Orte mit starken Beziehungen zwischen Menschen sind anspruchsvoll und manchmal mühsam. Aber hier werden Werte und Haltungen eingeübt. Das ist in unserer verrückten, gewalttätigen Welt nicht zu vernachlässigen. Die Ideen von Neustart Schweiz sind in der Tat gar nicht so neu. Vor der fossilen Ausbeutung, vor etwa 250 Jahren, waren Menschen gezwungen, sich an die physikalischen Grenzen zu halten und sich mit dem vor Ort Verfügbaren zu begnügen. Dahin müssen wir zurück. Sind wir clever, machen wir das by design und nicht by disaster. Es ist eine Befreiung vom Überfluss und führt zum „plünderungsfreien Glück“ wie es der Ökonom Niko Paech formuliert. Nachbarschaften mit hoher Lebensqualität, welche mithelfen, dass die vier Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Konsum zusammenrücken, sind an verschiedenen Orten bereits verwirklicht oder in Planung. Viele Städte und Gemeinschaften haben das Potenzial entdeckt und fördern entsprechende Projekte. Damit können wir der Wachstumsfalle entkommen. Die Realisierung verlangt jedoch Fantasie, Mut und neue Formen von Kooperation und Teilen.

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